Teil 28

"Wenn die Neuankömmlinge an den Lagern vorübermarschiereen, bemühten sie sich, die Häftlinge zu fragen:

»Wo sind wir?«

Und viele wußten schon, wenn sie den Namen »Auschwitz« hören, was sie erwartete ...

Sobald die Menschen in den Lastautos oder zu Fuß am Krematorium anlangten, wurden sie in zwei Gruppen geteilt, die Männer gesondert und die Frauen mit den Kindern gesondert, und jede Gruppe wurde in ein anderes Krematorium geführt.

Im Krematorium kamen sie zuerst in den »Auskleideraum des Todes«. Dort wurden sie aufgefordert, sich auszuziehen, ihre Kleidung ordentlich hinzulegen, die Schuhe zusammenzubinden und sich die Nummer des Kleiderhakens genau zu merken, »um nach dem Bad und der Desinfektion alles leicht wiederzufinden«.

Dann befahl man ihnen, in den Baderaum zu gehen das heißt in die Gaskammer. Hinter ihnen wurde nun die Tür dicht verschlossen, und statt das Wasser fließen zu lassen, wurden die Zyklonkristalle von oben in die Luftschächte hineingeschüttet.

Die Todesqual dauert kürzere oder längere Zeit, je nachdem, wie viele Menschen sich in der Kammer befanden und wie stark die Dosis des Gases war. Manchmal dauert es zwanzig, längstens dreißig Minuten; doch kam es vor, daß sich die Opfer wegen Mangels an Gas auch mehrere Stunden quälen mußten.

Die SS-Männer, die die Krematorien bedienten und zur Ermutigung eine gehörige Portion Alkohol bekamen, beobachteten durch die verglasten Fensterchen, wie die Menschen starben ...

Die Unglücklichen wurden sich manchmal bewußt, daß sich etwas Furchtbares vorbereitete, denn im gleichen Maße, wie der Vorgang des Entkleidens foreschritt und das Hineintreiben in die Gaskammern begann, fiel die Maske des Anstands und der Höflichkeit der SS-Wachen, die sich anfangs verstellt hatten und mit den Menschen relativ höflich umgegangen waren.

Sobald die SS-Leute die nackten Opfer hilflos vor sich hatten, zeigten sie sich in ihrer ganzen Bestialität. Sie schlugen sie, beleidigten sie und schändeten sie. Vor allem die letzten kleinen

Gruppen, die sich mit Mühe gerade noch in die vollgestopfte Kammer hineinzwängen konnten, mißhandelten sie ohne jede Rücksicht.

Der Kommandant des Krematoriums, Moll, bediente sich besonders gemeiner Methoden: er jagte die Menschen mit Pistolenschüssen in die Kammern.

Wenn die SS-Leute durch das Fensterchen den Tod der Opfer festgestellt hatten, schalteten sie die Entlüftungsanlage ein, durch die die vergiftete Luft aus den Kammern abgesaugt wurde.

Dann öffneten sie die Kammer.

Diese bot einen erschütternden Anblick: dicht aneinandergedrängt standen die erstarrten Körper aufrecht da, in verzweiflungsvollen Verrenkungen, mit bläulichen Flecken auf der Brust, viele zerfleischt und blutüberströmt.

Es kam vor, daß in der Kammer eine tote Mutter mie einem noch lebenden Kind gefunden wurde, das so fest an ihre Brust gepreßt war, daß es nicht genug Gas hatte einatmen können. Sie erschossen es und warfen es zu den anderen Leichen.

Bestand der Transport aus weniger als 100 Personen, so daß sich ihr Vergasen nicht »gelohnt« haben würde, erschoß man die Menschen, nachdem sie sich entkleidet hatten, gruppenweise im Hinrichtungsraum.

Der Schützenvirtuose Moll pflegte die Menschen zu fünft aufzustellen und bemühte sich, sie mit einer Kugel niederzuschießen, »um Munition zu sparen«.

Die Leichen wurden aus den Kammern gezerrt und in den Aufzug verladen, der sie auf besonderen, mit dem Ofen angepaßten Blechrinnen versehenen Loren in die Verbrennungskammern beförderte.

Aus den Kaminen quoll tagsüber dichter schwarzer Rauch, dessen widerlicher Gestank sich über die ganze Umgebung ausbreitete, und nachts loderten aus ihnen mehrere Meter hohe Flammen, die noch in großer Entfernung sichtbar waren.

Wie konnte das Leben der Häftlinge sein, die hier lebten und diesen Rauch und diese Flammen ständig sahen?

Diese Flammen waren die eigentliche Ursache der allgemeinen Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit der Häftlinge, ein Zustand, der durch die sonstigen Bedingungen noch verschlimmert wurde.

Die SS und die Häftlingsvorgesetzten drohten den Lagerinsassen mit dem Kamin ja auch oft genug.

Gab es keine Transporte, so reparierte und reinigte das Sonderkommando die Öfen und Gaskammern, brachte das Gelände in Ordnung und beseitigte die Asche.

Die Überreste der verbrannten Knochen wurden zerstampft, und mit der Menschenasche füllte man die Gruben in der Umgebung des Krematoriums aus.

Später wurde die Asche in die Weichsel geschafft."

  • Ota Kraus / Erich Kulka, Todesfabrik Auschwitz, S. 188ff