Literatur zum Faschismus

Zusammenfassung von Wolfgang Wippermann Europäischer Faschismus im Vergleich 1922-1982

Ohne allgemeinen Faschismusbegriff kommt man kaum aus, so wie man theorielos keine Geschichtsforschung betreiben kann. Wippermann vergleicht die diversen Faschismustheorien in einem Spektrum von Dimitroff bis Nolte und mißt sie an der Empirie. Das Buch ist bei Suhrkamp erschienen und noch nicht vergriffen. Allerdings ist in den letzten 13 Jahren einiges passiert, so daß die Entwicklung von REP, Bund freier Bürger, Asyldebatte und ähnliche Phänomene noch nicht vorkommen können. Aber die Distanz ermöglicht wo möglich den unvoreingenommeneren Blick. Wippermann plädiert als erste Stufe der Aneignung für eine "generischen Faschismusbegriff", der sich - zwar nicht induktiv - aber im Sinne einer reflektierenden Urteilskraft aus den betreffenden Erscheinungen zu entwickeln hätte. Das umgeht die Schwierigkeiten, in die man sich verstrickt, wenn partikulare Merkmale für den Faschismusbegriff als zureichenden Grund heranzieht, wozu verschieden Theorien neigen. So wird auch aufgewiesen, wie z.B. Bracher auf der einen Seite Bedenken hat die verschiedenen Erscheinungsformen des Faschismus unter einen Begriff zu fassen, dann aber ausgerechnet dem Totalitarismusbegriff verfällt, der dann auch noch Phänomene mit umfaßt, die sich von den Faschismen mehr unterscheiden als diese untereinander. Auch wird die vulgärmarxistische These der Erklärung des Faschismus als bloßes "Kampfinstrument der Großbourgeoisie gegen das Proletariat" kritisiert, die einen inflationistischen Begriff predigt, der dann in der Sozialfaschismusthese mündete, die dann Dimitroff 1935 wieder zurücknahm und forderte: "die Eigenart der Entwicklung des Faschismus und der verschieden Formen der faschistischen Diktatur in einzelnen Ländern und verschiedenen Etappen konkret zu studieren und zu berücksichtigen"(Protokoll des VII Weltkongresses der Kommunistischen Internationale, I 724f). Die Frage ist dann in der ganzen dogmatisch-marxistischen Diskussion folgenlos geblieben, obwohl die Forderung hin und wieder aufgeworfen wurde. Die kritisch-marxistische Tradition hat dagegen keineswegs eine Faschismusbegriff, der bloß als Schimpfwort und Propagandabegriff fungiert, gehabt und sich intensiv mit dem Problem auseinandergesetzt, ob der Faschismus ein singuläres auf Italien nur beziehbares Problem oder ein generelles Phänomen sei. Auch auf der bürgerlich-rechten Seite hat es ähnliche Inflationierungen des Begriffs gegeben, wie im Vulgärmarxismus, neben Bracher, bei dem alles was nicht unter parlamentarische Demokratie fällt subsumiert, A.James Gregor(nichtdemokratische Bewegungen) oder Henry A. Turner (antimodernistische Bewegungen). Daß die Autoren auf der anderen Seite zwischen den einzelnen Faschismen so große Unterschiede sehen, daß sie auf einen allgemeinen Begriff zu verzichten neigen und gleichzeitig einen noch abstrakteren vertreten, ist deren Selbstwiderspruch.
Mit 16 DM ist das Werk auch erschwinglich. Eine Leseprobe folgt.
Die eingangs gestellte Frage, ob man an einem allgemeinen Faschismusbegriff festhalten kann, ist, wie der vorliegende Bericht über die Geschichte und Struktur der verschiedenen Faschismus gezeigt hat, mit einem allerdings eingeschränkten Ja zu beantworten. Im Hinblick auf ihre Erscheinungsbild, ihre Ideologie, Zielsetzung und politische Taktik gibt es große Übereinstimmungen.
Die analysierten faschistischen Parteien weisen ein vergleichbares Erscheinungsbild auf. Sie waren hierarchisch nach dem Führerprinzip gegliedert, verfügten über uniformierte und bewaffnete Abteilungen und wandten einen damals neuartigen und spezifischen politischen Stil an. Dieses gilt für Massenbewegungen, die Massenaufmärsche, die Betonung des männlichen und jugendlichen Charakters der Partei, die Formen einer gewissen säkularisierten Religiosität, wie sie bei Fahnenweihen, Totenehrungen, bei Liedern und Festen zum Ausdruck kam, und dies gilt schließlich und nicht zuletzt für die kompromißlose Bejahung und Praktizierung der Gewalt in der politischen Auseinandersetzung, im Wahlkampf im wörtlichen Sinne.
Faschistische Parteien verfolgten eine vergleichbare Ideologie und Ziele, die durch durchgehende Ambivalenz gekennzeichnet sind. Die faschistische Ideologie, die mehr war als bloße verschleiernde und instrumentalistische Propaganda und Manipulation, weist antisozialistische und antikapitalistische, antimodernistische und spezifisch moderne, extrem nationalistische und tendenziell transnationale Züge auf. Dieses ambivalente Verhältnis ist aber nicht bei allen Faschismen in der gleichen Form anzutreffen. Es gibt quantitative, aber keine qualitativen Unterschiede zwischen den einzelnen Faschismen und innerhalb der Geschichte einer faschistischen Partei.
Die antikapitalistischen Programmpunkte, die meist bewußt verschwommen formuliert waren, wurden bei dem italienischen PNF und bei der NSDAP im Laufe der Entwicklung immer weiter zurückgedrängt. Relativ ausgeprägt war sie bei den ungarischen "Pfeilkreuzern", der rumänischen "Eisernen Garde", bei Teilen der Falange, bei der französischen PPF Doriots und bei den österreichischen Nationalsozialisten vor dem "Anschluß". Relativ schwach waren sie dagegen bei den österreichischen Heimwehren, der norwegischen "Nasjonal Samling", dem belgischen Rex, bei Teilen der übrigen französischen faschistischen Parteien und der holländischen NSB ausgeprägt.
Ein ähnliches Verhältnis ergibt sich bei den antimodernistischen und spezifisch modernen Elementen innerhalb der faschistischen Ideologie. Extrem antimodernistische Zielsetzungen findet man bei der NSDAP, der "Eisernen Garde" und der "Ustascha". Doch auch diese Bewegungen haben keinesfalls auf den Einsatz spezifisch moderner propagandistischer, politischer, militärischer und wirtschaftlicher Instrumente und Methoden verzichtet. Faschismus generell kann daher weder als ausschließlich antimodernistisch oder gar "soziale Revolution" charakterisiert werden.
Alle faschistischen Parteien waren schließlich extrem nationalistisch und orientieren sich meist an bestimmten 'glorreichen' Perioden der jeweiligen Nationalgeschichte. Dennoch mußten gerade die kleineren faschistischen Bewegungen, ob sie wollten oder nicht, gewisse Rücksichten auf die nationalen Interessen anderer faschistischer Bewegungen und vor allen Dingen der faschistischen Bewegungen nehmen. Gerade wegen ihrer Orientierung an einem ausländischen, nämlich faschistischen Vorbild wurden die Parteien nicht nur von den Linken, sondern auch von den extrem national orientierten rechten Kräften bekämpft. Dadurch wurde ihr Aufstieg wesentlich erschwert. Dies gilt vor allen Dingen für die kleineren faschistischen Parteien, die zu einem Zeitpunkt entstanden, als sich die faschistischen Regime in Italien und Deutschland schon konsolidiert hatten und eine primär nationale Politik betrieben, durch die die Solidarität mit den faschistischen Bruderparteien' stark beeinträchtigt wurde. Es kann generell gesagt werden, daß das Spannungsverhältnis zwischen der nationalen und der tendenziell transnationalen (faschistischen) Orientierung und Bindung der faschistischen Parteien nicht aufgelöst wurde. Es war keineswegs zufällig, daß die Bestrebungen, nach dem Muster der Weltbewegung eine "faschistische Internationale" ins Leben zu rufen, nahezu bedeutungslos blieben. Andererseits hat es gerade das Dritte Reich verstanden, seinen Kampf gegen den Bolschewisten als eine transnationale Aufgabe darzustellen. Viele Faschisten aus ganz Europa haben sich in den Reihen der SS am Vernichtungskampf gegen die Sowjetunion beteiligt. Auch die gerade vom Nationalsozialismus intensiv betonte rassistische Komponente wie eine gewisse transnationale Färbung auf, die dazu führte, daß einige Faschisten aus Frankreich, Belgien, Holland und den skandinavischen Ländern die Zielsetzung des Dritten Reiches unterstützten, um eine Neuordnung Europas nach rassischen Kriterien durchzuführen. Dennoch konnte durch die propagandistische Betonung der 'europäischen Aufgabe' des Dritten Reiches die Tatsache nicht verdeckt werden, daß der im Zeichen des Antikommunismus und des transnationalen Rassismus geführte Kampf im Grunde den Zielen des deutschen Imperialismus diente.
Alle faschistischen Parteien weisen ferner einen dezidierten und kompromißlosen Vernichtungswillen gegenüber politischen Gegnern und - teilweise willkürlich ausgewählten - Minderheiten auf. Die Gegner in den kommunistischen, sozialdemokratischen, liberalen und konservativen Parteien wurden erbarmungslos bekämpft und gleichzeitig - auch dies ein erneutes Zeichen für die grundlegende Ambivalenz des Faschismus - umworben. Fast alle faschistischen Parteien haben sich besonders intensiv gegen die jeweilige jüdische Minderheit gewandt. Dieser Antisemitismus wurde mit religiösen, sozialen und vor allem mit rassischen Momenten 'begründet'. Der italienische PNF, die spanische Falange, die finnische Lapua-Bewegung, die norwegische 'Nasjnonal Samlin' und die holländische NSB stellen in dieser Hinsicht eine Ausnahme dar, weil sie entweder gar keine oder eine gemäßigte antisemitische Zielsetzung vertraten. Das hatte mehrere Ursachen. Einige faschistische Parteien, z.B. die holländische NSB, haben eine offen antisemitische Sprache offensichtlich aus taktischen Gründen vermieden, weil dies auf die Kritik großer Teile der Bevölkerung stieß. In anderen Ländern war der Antisemitismus wirkungslos, weil es - wie in Norwegen - kaum Juden gab oder weil - wie in Spanien - andere nationale Minderheiten (Slowenen, Kroaten und Südtiroler) verfolgte.
Ebenso übersehen wird die Tatsache, daß die Nationalsozialisten neben Juden auch andere nationale Minderheiten (besonders Zigeuner und Polen) erbarmungslos verfolgt haben. Dennoch muß berücksichtigt werden, daß sich die Nationalsozialisten zwar nicht unbedingt in der Intensität und Brutalität ihres Vernichtungswillens von anderen Faschismen grundlegend unterschieden - erinnert sei nur an die Terrormaßnahmen der kroatischen "Ustascha" und der rumänischen "Eisernen Garde" gegen Juden und andere Minderheiten-; die bürokratische Perfektion aber bei der Umsetzung des ideologischen Ziels in die Praxis des fabrikmäßigen Massenmords an Juden ist ein singuläres Kennzeichen des deutschen "Radikalfaschismus". Wenn der Nationalsozialismus sein utopisch-reaktionäres Ziel der Rassenzüchtung und Rassenvernichtung so unbeirrt von ökonomischen, militärischen und politischen Kalkülen verwirklichen konnte, lag dies auch an der im Vergleich zum italienischen Faschismus unterschiedlichen Entwicklung und Struktur des Nationalsozialismus.
Der PNF verfügte im Jahr 1922, als er in die Regierung aufgenommen wurde, nur über 35 von insgesamt 535 Mandaten im italienischen Parlament. Seine Macht verdankte er einem beispiellosen Terrorfeldzug, wobei zunächst von Dorf zu Dorf, dann von Stadt zu Stadt und schließlich von Provinz zu Provinz politische Gegner eingeschüchtert, geschlagen, gefoltert und ermordet und die Stützpunkte der gegnerischen Parteien zerstört worden waren. Die NSDAP dagegen hatte nach ihrem fehlgeschlagenen 'Marsch auf Berlin' im Jahr 1923 zwar auch einzelne Terroraktionen durchgeführt, im Grunde aber das Ziel verfolgt, als stärkste parlamentarische System zu zerschlagen. Bei den Juli-Wahlen von 1932 erreichte sie 37,2% der Stimmen und 230 von 608 Mandaten im Reichstag. Trotz der Verluste, die sie bei den Wahlen vom November 1932 hinnehmen mußte, war die NSDAP auch am 30.Januar 1933 noch die bei weitem stärkste politische Partei in Deutschland. Daher gelang es der NSDAP innerhalb von knapp vier Monaten, ihre politischen Gegner aus- und die konservativen Bündnispartner weitgehend gleichzuschalten. Mussolini benötigte dafür fast sechs Jahre, blieb jedoch immer auf die Unterstützung seiner Bündnispartner - Bürokratie, Militär, Industrie und Kirche - angewiesen. Obwohl auch im Dritten Reich die polykratischen Züge nicht zu übersehen sind war das nationalsozialistischen Deutschland weitaus totalitärer als der italienische "stato totalitario".
Von den übrigen faschistischen Bewegungen ist es nur der österreichischen Heimwehr, der rumänischen "Eisernen Garde" und der sehr schwachen spanischen Falange gelungen, ohne ausländische Hilfe in die Regierung zu gelangen. Anders als in Deutschland und Italien gelang hier jedoch das Einrahmungskonzept der konservativen Bündnispartner. Die spanische Falange, die 1936 nur über 35.600 Mitglieder verfügte, stellte nur einen Teil der 1937 gegründeten francistischen Einheitspartei dar, die von Anfang an von Franco kontrolliert wurde und der es auch in der Folgezeit nicht gelang, den vorherrschenden Einfluß des Militärs, der Industrie und der Kirche zurückdrängen. Die Heimwehren in Österreich, die 1930 eine Mitgliederzahl von 150.000 besaßen, bei Wahlen jedoch nur 6% der abgegeben Stimmen gewonnen hatten, sind von den autoritären Regierungschefs Dollfuß und v.Schuschnigg Schritt für Schritt in ihrem Einfluß zurückgedrängt worden, bis sie ihre Unabhängigkeit völlig einbüßten. Die rumänische "Eiserne Garde", die bei den Wahlen von 1937 16% der Stimmen und 66 von insgesamt 390 Parlamentssitzen aufgenommen worden, dann jedoch in einem blutigen Terrorfeldzug vernichtet worden.
Die ungarischen Pfeilkreuzer, die bei den Wahlen von 1935 25% der Stimmen errungen hatten, kamen ebenso wie die kroatische Ustascha und die zahlenmäßig nahezu bedeutungslose "Nasjonal Samling" (nur 2,8 % bei den Parlamentswahlen von 1933) nur mit Unterstützung der ausländischen faschistischen Mächte, insbesondere des Dritten Reiches, an die Regierung und waren mehr oder minder von der deutschen Schutz- bzw. Besatzungsmacht abhängig.
Von den übrigen Faschismen erreichten nur die faschistischen Bewegungen in Frankreich eine Massenbasis. Erwähnenswert sind ferner die faschistischen Parteien in England, Finnland, Belgien und Holland, die einen gewissen, allerdings temporären politischen Einfluß errangen, während die faschistischen Parteien in Dänemark und Schweden bedeutungslose Sekten blieben, denen nur wenige Tausend Mitglieder angehörten. Die Regime in der Slowakei, Polen, den baltischen Staaten, Bulgarien und Portugal gehören dagegen eher in die Gruppe der autoritären als der faschistischen Diktatoren.
Versucht man, die einzelnen Faschismen nach geographischen Gesichtspunkten zu gliedern, ergeben sich keine klaren Korrelationen. In Nord- und Westeuropa hat es neben relativ starken - Frankreich und mit einem gewissen Abstand England, Belgien und Finnland - auch äußerst schwache - Schweden, Dänemark und Holland - faschistische Bewegungen gegeben. Ähnlich ist es in Mittel- und Südeuropa. Anders als in Deutschland, Italien und Österreich gab es in der Schweiz und auch in der Tschechoslowakei nur sehr schwache faschistische Parteien (Z.B. die sudetendeutsche Partei, die noch 38 in freien Wahlen 92 % bekam /MB). In Ost- und Südeuropa weisen Kroatien, Ungarn und Rumänien starke faschistische Bewegungen auf, während sie in Polen, den baltischen Staaten, Bulgarien und Griechenland äußerst klein waren oder sogar gänzlich fehlen. In Spanien und besonders Portugal sind die vorhandenen - relativ schwachen - faschistischen Parteien in die jeweilige Staatspartei inkorporiert und entmachtet worden.
Sucht man nach einem sozioökonomischen Gliederungsprinzip, stößt man auf noch größere, unlösbar scheinende Probleme. In hochindustrialisierten Ländern gab es ebenso wie in agrarischen Gesellschaften starke und schwache faschistische Bewegungen. Theorien, die den Faschismus generell in eine gewisse Beziehung zu einem bestimmten Stadium der Entwicklung des Kapitalismus oder des Modernisierungsprozesses setzen, sind nicht zutreffend.
Da die faschistischen Parteien der Zwischenkriegszeit in Ländern entstanden, die sich in soziökonomischer Hinsicht stark unterschieden, weisen die einzelnen faschistischen Parteien auch in ihrer sozialen Basis deutlich erkennbare Unterschiede auf. Allerdings ist darauf hinzuweisen, daß die vergleichende Erforschung dieser Frage noch nicht sehr weit gediehen ist. Häufig fehlen zuverlässige und vergleichbare Angaben zur sozialen Herkunft der Führer, Aktivisten, Mitglieder und Wähler der einzelnen faschistischen Parteien. Hinzukommt, daß sich die soziale Zusammensetzung der faschistischen Parteien in regionaler und zeitlicher Hinsicht wandelte. Die NSDAP sei hier als Beispiel genannt, die sich zunächst fast ausschließlich aus dem alten Mittelstand rekurrierte,, dann aber in einigen Regionen auch Mitglieder des neuen Mittelstande und der Arbeiterschaft gewann. Abgesehen von den faschistischen Sekten, die sich wie faschistische Parteien im Anfangsstadium überhaupt überwiegend aus Studenten, Offizieren, Angestellten sowie einigen Arbeitern und Bauern rekrutierten - eine konkrete soziale Zuordnung ist wegen der geringen Größe nicht möglich-, sind von den übrigen faschistischen Bewegungen die österreichischen Heimwehren, einige französische Gruppen, die belgische Rex- und die finnische Lapua-Bewegung sowie die kleinere holländische NSB durch einen eher mittelständischen Charakter gekennzeichnet. Doch auch hier ist das Verhältnis zwischen dem alten - Bauern, Handwerker, kleine Gewerbetreibende - und dem neuen Mittelstand - Angestellte und Beamte - sehr unterschiedlich. Überwiegend agraisch geprägt waren neben der Lapuabewegung auch die österreichischen Heimwehren, während die holländische NSB ihre Hochburgen in den Städten fand. Einen relativ hohen Anteil an Arbeitern weisen dagegen die ungarischen Pfeilkreuzer (geschätzter Arbeiteranteil 41%), der französischen PPF und - mit gewissen Abstand - auch die "Britisch Union of Fascist", die österreichischen Nationalsozialisten und die Falange (im Anfangsstadium) auf. Die ungarischen Pfeilkreuzler, die rumänische "Eiserne Garde" und auch die kroatische "Ustascha" kann man durchaus als Parteien der Unterschichten ansehen. Der heutige Stand der vergleichenden Faschismusforschung erlaubt jedoch nicht die Schlußfolgerung, Faschismus generell als Mittelstands- oder als Volkspartei anzusehen.
So wichtig auch die weitere Erforschung der sozialen Basis des Faschismus insgesamt ist, man darf dabei nicht übersehen, daß dieses Problem durch die Frage nach der sozialen Funktion des Faschismus nicht nur ergänzt, sondern sogar teilweise relativiert wird. Schließlich gelang den Faschismen der Aufstieg keineswegs nur aus eigenen Kraft, sondern er beruhte auf auf der Unterstützung von seiten der Industrie, der Landwirtschaft und der bürgerlichen Parteien. Allerdings führt hier die vulgärmarxistische cui-bono-Frage nicht weit. Nur die von dem französischen Parfümfabrikanten Coty gegründete und finanzierte "Solidarité Francaise" entsprach dem Bild, das von kommunistischen(gemeint sind die östlich geprägten MB) Faschismustheoretikern für den Faschismus generell gezeichnet worden ist. Ihre immer wieder hervorgehobene Behauptung, daß faschistische Parteien von Anfang an von einflußreichen Kreisen der Industrie finanziert und geleitet worden sein sollen, wird durch die bisherige Forschung eher widerlegt als bestätigt (Vgl. A.Barkeis neuere Arbeiten MB). Allerdings sind die Forschungslücken gerade bei diesem Problem besonders groß. Neben der PNF, die in der Anfangsphase bedeutende finanzielle und politische Unterstützung von den Agrariern erhielt, sind die finanziellen Zuwendungen für die österreichischen Heimwehren, die finnische Lapua-Bewegung und für den belgischen Rex nachweisbar. Auch die NSDAP hat materielle Zuwendungen von seiten der Industrie und der Landwirtschaft erhalten. Allerdings sind größere Summen erst gezahlt worden, nachdem die NSDAP zur Massenpartei geworden war (das bestätigt auch Barkeis Arbeit MB). Wichtiger als die finanzielle war schließlich die politische Unterstützung, die der PNF und die NSDAP von den industriellen und agraischen Eliten sowie von den konservativen politischen Kräften erhalten haben. Doch während es in Italien und Deutschland zu einem 'Bündnis' zwischen der faschistischen Partei und den industriellen, agraischen und konservativen politischen Kräften kam, war dies in allen anderen Ländern, in denen es faschistische Parteien gab, die über eine Massenbasis verfügten, nicht der Fall.
Während sich die bisherige Forschung vor allem auf das Problem konzentriert hat, welche sozialen und wirtschaftlichen Faktoren dem Aufstieg der faschistischen Parteien eine besonders große Anziehungskraft auf relativ junge Männer ausgeübt haben, zwar konstatiert, aber bisher nur in einer sehr unzureichenden Weise erklärt worden. Eine vergleichende sozialpsychologische Erforschung der Faschismen gibt es nur in Ansätzen. Ob und in welchem Umfang die überwiegend jugendlichen und fast ausschließlich männlichen Anhänger des Faschismus in Europa durch bestimmte psychische Merkmale wie Angst, Aggression und andere autoritäre Charakterzüge gekennzeichnet waren, weiß man bisher nicht.
Dagegen konnte die von fast allen Faschismustheoretikern vertretene These, wonach faschistische Parteien in der Situation einer Krise entstehen und aufsteigen können bestätigt werden. Allerdings kommt es nicht nur auf das Ausmaß der ökonomischen Krise, sondern vor allem darauf an, ob die wirtschaftliche zu einer Krise im sozialen und politischen Bereich führte. Hier gibt es verschiedene hemmende und fördernde Faktoren. Beim gegenwärtigen Stand der Forschung ist es jedoch noch nicht möglich, feste Korrelationen zwischen der Schwere und dem Ausmaß der wirtschaftlichen Krise und anderen sozialen Faktoren herzustellen.
Als besonders wichtig für den Bestand der Demokratie und die Abwehr des Faschismus erwies sich vor allem die Kompromißbereitschaft zwischen bürgerlichen, agraischen und sozialdemokratischen Parteien. Gerade in Schweden und Norwegen hat das von den Konservativen und Liberalen tolerierte Bündnis zwischen der Sozialdemokratie und der jeweiligen Bauernpartei wesentlich dazu geführt, daß die schwedischen und norwegischen faschistischen Parteien einflußlose Sekten blieben. Das Beispiel Hollands zeigt, daß die Existenz eines festgefügten katholischen, sozialdemokratischen und protestantischen Milieus oder 'Lagers' ebenfalls dazu führte, daß der Aufstieg des Faschismus verhindert wurde. Als ähnlich resistent hat sich auch die katholische und - in geringeren Maße - auch sozialdemokratische Wählerschaft der Weimarer Republik erwiesen. Die Existenz von nationalen und religiösen Minderheiten hat dagegen meist zum Aufstieg des Faschismus geführt. Die Schweiz stellt in dieser Hinsicht eine Ausnahme, da hier die Sprachen- und Minderheitenfrage in vorbildlicher Weise gelöst war und nicht von der Agitation der faschistischen Partei ausgenutzt werden konnte (ähnlich vorbildlich war das allerdings in der CSR gelöst, was allerdings die Sudetendeutschen nicht davon abhielt 35 zu 66% und 38 zu 92% Hitlervassallen zu wählen MB). In einigen Ländern (Dänemark, Schweden, Norwegen) hat schließlich die staatsinventionistische und am Prinzip des deficit spending orientierte Wirtschaftspolitik zu einer schnelleren Überwindung der Arbeitslosigkeit beigetragen, so daß die jeweiligen faschistischen Parteien die wirtschaftliche Situation nicht mehr für ihre Agitation ausnutzen konnten. Insgesamt gesehen muß jedoch noch einmal darauf hingewiesen werden, daß man heute noch nicht sagen kann, welche Formen der Wirtschaftskrise, von der nahezu alle Länder Europas betroffen waren, den Aufstieg der jeweiligen Faschismen gefördert haben.
Als positiv für die Entstehung und den Aufstieg von faschistischen Parteien hat sich in einigen Ländern die Existenz von antiparlamentarischen Massenbewegungen ausgewirkt, die schon im 19.Jahrhundert nationalistische, antisozialistische, antikapitalistische und antisemitische Zielsetzungen vertraten. Das gilt für die Alldeutschen in Österreich und Deutschland ebenso wie für die italienische "Associatione Nazionalista" und vor allem der "Action Francaise". Ob man diese Bewegungen jedoch als "frühfaschistisch" (da bezieht er sich auf Nolte MB) einstufen kann, ist umstritten. Dieser Begriff stellt ebenso wie der "Philo-Faschismus" eine bloße Hilfskonstruktion dar. Problematisch, ja abzulehnen ist dagegen die Verwendung des Ausdrucks "Neofaschismus", weil die nach 1945 entstandenen faschistischen Parteien in ideologischer und organisatorischer Hinsicht eindeutig vom Vorbild des 'klassischen' Faschismus geprägt sind. Hätten sie tatsächlich neue Elemente entwickelt, müßte für sie eine andere, neue Bezeichnung gefunden werden.
Insgesamt sind die europäischen Faschismen durch eine gewisse Varietät gekennzeichnet, wobei vor allen Dingen der deutsche "Radikalfaschismus" vom "Normalfaschismus"(diese Unterscheidung ist übrigens von Nolte, aber trotzdem durchaus sinnvoll MB) Italiens und den übrigen faschistischen Bewegungen unterschieden werden muß. Dennoch kann man wenigstens im heuristischen Sinne an einem allgemeinen, aber in sich differenten Faschismusbegriff festhalten. Die Mahnung Angelo Tascas: "Faschismus definieren, heißt zu allererst die Geschichte des Faschismus schreiben", hat auch heute nichts von ihrer grundsätzlichen Richtigkeit eingebüßt. Wie es Tascas eigenes vorzügliches Werk über den italienischen Faschismus beweist, heißt dies jedoch nicht, daß man bei der vergleichenden Erforschung der Faschismen auf die Theorieansätze, Thesen und selbst Hypothesen der nun 60jährigen internationalen Faschismusdiskussion verzichten sollte. Sie müssen als "Theorien mittlerer Reichweite" gebündelte werden, denn monokausale Erklärungen und globale Theorien können weder der "Varietät" der Faschismen noch der Tatsache gerecht werden, daß sich die einzelnen faschistischen Bewegungen im Verlaufe ihrer Entwicklung auch gewandelt haben. Das Suchen nach einer alles umfassenden und alles erklärenden globalen Theorie scheint dagegen im Augenblick wenig förderlich zu sein und führt nur zu einem unfruchtbaren und unbefriedigenden Streit um Begriffe. Wichtiger und nützlicher ist es, die empirische und methodenpluralistisch arbeitende vergleichende Faschismustheorie voranzutreiben.

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Most recent revision: April 07, 1998

E-MAIL: Martin Blumentritt