Hier einiges über die Grauzone zwischen Faschismus und Grünen bzw. Linken. Teileweise ist der Artikel etwas zu sehr beeindruckt von der Sache und die Zukunft hatte dann ja eine größere Nähe zum Faschismus bewiesen als damals schon offenkundig war. Trotzdem faßt der Artikel die nationalrevolutionäre Position gut zusammen.

Peter Dudek
Nationalromantischer Populismus als Zivilisationskritik
aus: Neue soziale Bewegungen

Rechte und Grüne - das Thema ist ein sensibler Gegenstand. Allzuleicht bleibt es mißbräuchlich für die Denunziationen der Stoiber und Börner, denen als Antwort auf außerparlamentarische Bewegungen nur der SA-Vergleich einfällt. Von linken Kritikern wird die ökologische Wende des bundesrepublikanischen Rechtsextremismus nur zu gerne zum Anlaß genommen, braune Flecken in der grünen Bewegung zu identifizieren. Nun ist unbestritten, daß ökologisch regressive Leitbilder auch in Teilen der Grünen und verstärkt innerhalb der ökologisch Demokratischen Partei (ÖDP) existieren, die ihr Kritikmotiv aus einem völkisch-naturalistisch eingefärbten Verständnis von Natur- und Lebensschutz beziehen. Historisch gesehen, zählte diese Art von Ökologie schon immer zum Arsenal rechtsextremer Politikangebote. Sie läßt sich in den Parteiprogrammen der Deutschen Reichspartei oder Deutschen Gemeinschaft der Fünfziger Jahre ebenso finden wie in der Literatur und politischen Publizistik rechtsextremer Kulturgemeinschafen und Schriftsteller, die Naturidolatrie mit Ökologie verwechseln.
Zivilisationskritik stellte in diesem Jahrhundert vorrangig einen Kristalisationspunkt für neokonservative und rechtsextreme Perspektiven dar. Wo politische und geistige Wahlverwandtschaften zur Ökologiebewegung auszumachen sind, soll hier nicht erörtert werden. Sie existieren und schlagen sich in gemeinsamen Kommunikationsforen nieder:
- So veröffentlichte Baldur Springmann sein neuestes Buch "Partner Erde" im dem Bund Heimattreuer Jugend (BHJ) nahestehenden Arndt-Verlag und konnte dafür sogar im Spiegel werben (Nr. 17/ 1982) .
- im Oktober 1982 wurde im rechtsextremen Monatsmagazin MUT (Auflage: 32000) ein Hauptbeitrag aus dem neuen Buch "Das irdische Gleichgewicht von Herbert Gruhl veröffentlicht. (1)
Den Grünen selbst erscheint das Thema ebenfalls ein Problem zu sein. So berief der Landesvorstand der GRÜNEN Baden-Württemberg inzwischen eine Kommission "Rechtsextreme Unterwanderung der GRÜNEN und nahestehender Vereinigungen" ein, die kürzlich eine Dokumentation
(2) ihrer Arbeit vorlegten. Dort heißt es im vorläufigen Fazit:
"Eine Reihe grüner Grundpositionen sind unvereinbar mit braunem Gedankengut und können - sofern entwickelt werden und mit entsprechendem öffentlichem Bewußtsein verbunden sind - als antifaschistischer Block wirken. Einige weitere Fragen sind noch in der allgemeinen Diskussion: So wird der Begriff des _Wertkonservativismus_ noch sehr undifferenziert bemüht. Nicht jeder Wert ist konservierenswert. Wie wir es mit sogenannten Sekundärtugenden (Carl Amery) - wie Plicht, Ehre, Vaterlandsliebe oder Treue halten wollen, ob wir uns nach ihren Inhalten fragen, das wird sich noch zu entscheiden haben"
Mag das Fazit auch unbefriedigend sein, so benennt die Dokumentation doch ein Problem klar: die Aktivitäten nationalrevolutionärer Gruppen, die innerhalb der Ökologie- und Friedensbewegung arbeiten und ideologisch versuchen nationalistische und ökologische Stränge zu einem konsistenten Politikprogramn zusammenzudenken. Sich auf die Tradition der Nationalrevolutionäre der Weimarer Republik berufend, haben sich diese Gruppen Ende der Sechzigerjahre aus dem rechtsextremen Lager ausdifferenziert, Zulauf von enttäuschten K-Gruppen-Aktivisten erhalten und sind heute um drei Zeitschriften organisiert:
- Neue Zeit (München)
- Wir selbst. Zeitschrift für nationale Identität (Koblenz)
- Der Aufbruch (Menden)
Die Themen dieser Zeitschriften liegen im gegenwärtigen Trend - auch bei Teilen der westdeutschen Linken. Aus der Abhängigkeit beider deutschen Staaten von der Militärstrategien der Supermächte soll die Konsequenz für eine Politik gezogen werden, die sich im Interesse des Friedens in Europa eine Neuvereinigung Deutschlands unter neutralistischer Perspektive zum Ziel setzt. Man will mit der "Tradition der Selbstbezichtigung" brechen und den Rechten nicht mehr das Feld überlassen, sondern den Begriff der "nationalen Identität" positiv besetzen. Nun muß es nicht ein Zeichen politischer Vernunft sein, die Nationale Frage neu zu thematisieren. Es kann auch den Verlust eines Problembewußtseins anzeigen, aus der deutschen Geschichte die Konsequenz zu ziehen, daß sie sich durch nationale Identifikationen nicht sinnvoll weiterentwickeln läßt. Den Vertretern des neuen Patriotismus aber erscheint das nationale Ziel im Leitbegriff des Befreiungsnationalismus als Garant für den Frieden. Einer ihrer bekanntesten Vertreter, Wolfgang Venohr, machte in einem Interview mit der Zeitschrift "Wir selbst" die Perspektive deutlich:
"Befreiungsnationalismus und Antifaschismus können und dürfen kein Gegensatz sein. Man muß die Kapitulationsurkunde in Sachen deutscher Geschichte zerreißen. Der lange Marsch durch das Bewußtsein des deutschen Volkes muß ein nationalrevolutionärer sein."
Wie kein anderer hat Hennig Eichberg
(3) in den letzten Jahren versucht, diesen nationalrevolutionären Weg mit regionalistischen und ökologischen Optionen theoretisch zu begründen. Mein Kommentar setzt sich deshalb mit seiner Gesellschafts- und Zivilisationskritik auseinander. Zur Diskussion steht nicht seine Person, sondern das von ihm vertretende Programm. An ihm interessieren mich seine Prämissen und Grundkategorien, mit denen Eichberg sein Theoriekonzept organisiert. In welchen politischen und ideengeschichtlichen Traditionen sind seine Arbeiten anzusiedeln, welche aktuellen Verweisstrukturen beinhalten sie?
Wer Eichbergs politische Aufsätze kennt, wird ihn unschwer als "Anwalt bedrohter Völker", als scharfer Kritiker zentralstaatlich organisierter Industriegesellschaften und Verfechter eines politisch-kulturellen Regionalismus identifizieren. Damit haben seine Arbeiten Thematisierungsfunktion für ein Teil der sozialen Bewegungen, nämlich der Ökologie- und Alternativbewegung. Eichberg entstammt politisch dem Lager rechtsaußen. Seine publizistischen Erfolge in Teilen der Neuen Linken haben in der Krise der Linken ihre Ursache. Denn regionalistische, kultur- und industriekritische Bewegungen, die Politik aus der Perspektive von Subjektbezogenheit und Alltagsorientierung mit Anspruch auf Betroffenenvertretung betreiben, sind vor allem das Resultat gescheiterter Politik- und Theoriekkonzepte der Studentenbewegung. _Meine These lautet_: Teile der neuen sozialen Bewegungen haben sich programmatisch EIchbergs nationalrevolutionärer Position genähert und nicht umgekehrt.
Aus seinen zahlreichen Arbeiten mit unterschiedlichen empirischen Fallbeispielen läßt sich durchgängig ein argumentatives Grundmuster rekonstruieren, nämlich: Die wachstumsorientierten, hochtechnologischen Industriesysteme kolonisieren weltweit die Völker der Erde, integrieren sie in politische und ökonomische Großstrukturen, berauben sie damit ihrer eigenen kulturellen und nationalen _Identität_. Der industrielle Entfremdungsprozeß macht durch die "Wodka-Cola-Kultur" alle Völker gleich. Die politische Gegenstrategie lautet: Abkopplung von den Supermächten, hin zu kleinen gesellschaftlichen Einheiten, Unterstützung regionalistischer Bewegungen. Fernziel ist die Rückgewinnung der nationalen Identitäten der Völker. Nationalismus ist die Vermittlungskategorie zwischen Gesellschaftsanalyse und Revolutionstheorie. Diesen Ansatz hält Eichberg auch bei der Lagebeurteilung spätkapitalistischer Gesellschaften Westeuropas durch. Die deutsche Frage nimmt in diesem Interpretationsraster folgende Kontur an:
"Ein Bund deutscher Volksrepubliken, ein unabhängiges Friesland oder ein Freistaat der Alemannen, ein Freies Franken, ein sozialistisches Sachsen oder eine Republik Tirol ständen nicht im Widerspruch zum nationalen Prinzip, sondern wären seine Fortsetzung. Allerdings wären sie dies nicht statt der Lösung der Frage der Mauer und der Besetzung in Deutschland, sondern nur unter deren Voraussetzung. Die Regionalisierung Deutschlands hängt von der historischen Chance der deutschen nationalen Identität ab - und umgekehrt."
(4)
Die gesellschaftstheoretischen Vorannahmen, die Eichbergs Zivilisations- und Kulturkritik leiten, müssen - da von ihm nicht expliziert - implizit erschlossen werden. Ich möchte wenigstens drei grundlegende Prämissen festhalten, von den EIchberg ausgeht:
- Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Krisensituationen lassen sich nicht als Krisen spätkapitalistischer oder staatssozialistischer Gesellschaftssysteme formulieren. Es sind Krisen, bei denen es um das Weiterleben der Menschheit geht, sei es in Fragen der Aufrüstung, der Zerstörung von Lebensbedingungen, der Kolonialisierung der Lebenswelt oder der Verknappung der materiellen Ressourcen. Die Kritik spätkapitalistischer Vergesellschaftung erscheint als Kritik des Industriesystems und der Industriekultur.
- Die Verallgemeinerbaren Interessen des "revolutionären Subjekts", nämlich der Internationale der unterdrückten Völker, werden gegenwärtig durch regionale Autonomiebewegungen und seperatistische Organisationen wie die ETA und IRA thematisiert und in Politik umgesetzt. Sie sind Bewegungen, die sich von dem beherrschenden Zentralstaat abkoppeln. Ihr politisches Grundverständnis ventiliert um die Topik eines "volklichen Nationalismus".
- Nicht die unmittelbare materielle Produktion und die dort entstehenden Klassenkonflikte bilden den Ausgangspunkt der Analyse, sondern die Folgeprobleme krisenhafter Reproduktion der industriellen Gesellschaften insgesamt werden zum Gegenstand der Kritik stilisiert. Damit erscheinen Wirtschaftswachstum und Entwicklung der Produktivkräfte als Ausdruck herrschender Irrationalität. Industrielle Unvernunft bringt einen "neuen industriellen Rassismus" hervor, der primär die "unproduktiven Völker" (Roma, Sinti, Indianer, Eskimos etc.) in das umfassende Netz industrieller Produktion und industrialisierter Zivilisation integriert und damit ihre Identität vernichtet. Im Namen der "Industrie und Gleichheit der Rassen" setzt der "industrielle Rassismus" den nationalsozialistischen Holocaust an den "unproduktiven Juden" fort - Genozid als Konsequenz industrieller Produktivität.
Vor dem Hintergrund dieser Grundorientierung organisiert Eichberg seine Gesellschaftskritik als Zivilisations- und Kulturkritik. Durchgängig bedient er sich eines dualistischen Modells. Darin stehen in kategorialer Frontstellung:
STAAT - VOLK
INTERESSE - IDENTITÄT
KULTURVERNICHTUNG - KULTURREVOLUTION
ENTFREMDUNG - NATIONALE IDENTITÄT
ZENTRALE GROSSTRUKTUR - REGIONALE KLEINE EINHEIT
KOLONIALISIERUN - REGIONALISIERUNG
In diesem Sample bilden VOLK, IDENTITÄT und KULTUR die Leitbegriffe im Eichbergschen Kritikprogramm. Ideengeschichtlich stehen sie in der Tradition der konservativen Revolution, theoriepolitisch weisen sie ein hohes Maß an Gemeinsamkeit mit dem Programm der Novelle Droite und ihrem deutschen Ableger, dem Thule-Seminar, auf.

Zum Volksbegriff: Volk taucht in Eichbergs Schriften in dreifacher Bedeutung auf. Einmal wird Volk als politischer Kampfbegriff verwendet: als Gegenbegriff zu zentralstaatlicher Herrschaftspolitik. Weiter ist Volk eine programmatische Kategorie in historischen und sozialgeschichtlichen Situations- und Prozeßbeschreibungen von Unterdrückung und Ausbeutung "ungleichzeitiger Steinzeit-Völker" durch "gleichzeitige Industrievölker". Zum dritten aber füllt VOLK eine theoretische Leerstelle. Volk wird zum Surrogat für Gesellschaft und zugleich zum handelnden Subjekt der Geschichte. Danach läßt sich Geschichte nur als Geschichte der Völker und ihre Unterdrückung durch Zentralstaaten schreiben. Unter der nationalrevolutionären Perspektive und ihrer Kritik an der "Industrie des Verschwindens" wird Volk zu einem homogenen Begriff, der keine antagonistischen Interessen kennt, den keine Herrschaftsstrukturen durchziehen. VOLK erscheint als wesentliche Einheit, die vor aller Differenzierung der Gesellschaft in Klassen, Interessengruppen etc. liegt. Völker als handelnde historische Subjekte avancieren mit beinahe eschatologischen Pathos zum Ausdruck des Wahren und Ganzen. Sie sind primäre Wirklichkeit vor den Individuen und ihren subjektiven wie objektiven Interessen. Indem das Volk statt an das Ende an den Anfang der theoretischen und praktischen Kritik der Gesellschaft rückt, bleibt Eichberg der Tradition des völkischen Populismus Otto Strassers verhaftet. Zielperspektiven politischer Kämpfe ist dem nationalrevolutionären Programm "volklicher Nationalismus", "volkliche Identität", "nationale Identität".

Zum Identitätsbegriff: Der Identitätsbegriff ergibt sich aus den Handlungsperpektiven eines Volkes. In den Sozialwissenschaften wird der Identitätsbegriff gemeinhin subjektivistisch als Ich-Identität, personale und soziale Identität oder - bezogen auf die frühen Hochkulturen, in denen der Geltungsbereich von Religion und Kultur noch mit dem Gemeinwesen zusammenfiel - als Gruppenidentität verwendet. Was aber bedeutet nationale Identität für Menschen in spätkapitalistischen Gesellschaften? Was heißt nationale Identität der Deutschen? Worin besteht ihre lebenspraktische Relevanz? Eichberg gibt darauf keine befriedigenden Antworten. Vielmehr ist sein Identitätsbegriff widersprüchlich. Einmal gilt er als kollektiver Identifikationsbegriff, als Merkmal eines Volkes, das sich dem industriellen Entfremdungsprozeß erfolgreich entzogen hat. Andererseits wird der gleich Begriff subjektivistisch gefaßt:
"Identität heißt, sich mit anderen, zwischen anderen seiner selbst zu vergewissern, bei sich selbst zu Hause zu sein. Nicht Haben wollen, sondern Antwort wissen auf die Frage: Wer bin ich?"
(5)
Das ist der klassische Identiätsbegriff. Ich kann die Notwendigkeit nicht sehen, ihn an die Nation zu binden. Folgt man Eichbergs Argumentation, so ist Identität nur in der Nation zu finden, ist Entfremdung nur aufzuheben in einer Bewegung zur nationalen Einheit, löst sich die vielzitierte Sinnkrise der Jugend in der Suche nach nationaler Identität auf. Unter der Hand wird der kollektive Identifikationsbegriff subjektivistisch gewendet und zur Lösung des Entfremdungsproblems bereitgestellt. Daß ich Deutscher bin, daß ich lebensgeschichtliche Bindungen zu Personen, Orten und Regionen meiner Kindheit und Jugend entwickelt habe, die meine Persönlichkeit mit strukturieren, ist trivial. Daraus ein politisches Programm zu machen, halte ich vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte für politisch gefährlich. Deutschland liegt gegenwärtig im Brennpunkt der atomaren Bedrohung durch die beiden Militärblöcke. Viele Bürger dieses Landes reagieren auf die Vision, daß Europa zum Schießplatz der Supermächte werden könnte, mit berechtigten Ängsten. Ängste mögen ein diffuses Wir-Gefühl stärken, bilden aber keine Triebfeder für nationale Identität. Wer wie Eichberg und die anderen Nationalrevolutionäre die Traditionslinien des Deutschnationalismus einfach unterschlägt oder uminterpretiert, handelt theoretisch fahrlässig und politisch unverantwortlich. Die von ihnen initiierte Diskussion um einen neuen Patriotismus in Deutschland legt den Verdacht nahe, daß nationale Identität der billige Ersatz für ungelöste soziale und gesellschaftspolitische Probleme ist.

Zum Kulturbegriff: Nationale Identität als Alternative zur kulturellen Entfremdung leitet Eichbergs Kulturkritik an. Gemäß dem theoretischen Primat der Völker entwickelt jedes Volk ein ihm adäquate authentische Kultur. Für Eichberg entsteht Kultur aus den alltäglichen Verhaltensweisen und Interaktionsformen eines Volkes, wird zum Sediment für seine Geschichte. Kulturelle Ausdrucksformen, die verschüttet sind durch die industrielle Massenkultur, findet man in Dialekten, Ritualen, Symbolen, Mundartprosa, in Liedern der Alemannen, Sachsen, Franken. Kultur wird, _so_ interpretiert, zum Differenzkriterium zwischen Völkern. Diese Kultur wird durch die "Wodka-Cola-Kultur" nivelliert, eingeebnet in eine Gleichheit, die Gleichheit in Entfremdung ist. Solche getränke-politischen Assoziationen fehlt analytische Aussagekraft. So beklagt Eichberg in mehreren Aufsätzen die Amerikanismen in der deutschen Sprache, sieht in amerikanischen Fersehserien, Jeansgeschäften und Hamburger-Ketten nur einen weiteren Fortschritt im weltweiten Entfremdungsprozeß. Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig, wenn damit der Prozeß kapitalistischer Vergesellschaftung exemplifiziert werden soll. Falsch, wenn dies als Ausdruck völkischer Entfremdung wahrgenommen wird. Denn seit wann ist die geographische Herkunft eines Filmes Gütesiegel für dessen Inhalt? Und was ist die Alternative? Ohnsorg-Theater und bayrischer Komödienstadel? Zudem ist Eichbergs Kulturbegriff ein politisch halbierter Begriff, reduziert auf Alltagskultur und kulturelle Ausdrucksformen politischen Widerstands.
Mit seinen Beispielen liegt Eichberg scharf am Volksgemeinschaftsbegriff, versucht er in der Tradition der konservativen Revolution Geschichte gegen Natur, Gesellschaft gegen Volk auszuspielen. Was ihn weiter mit den Theoretikern des völkischen Realismus verbindet, ist die Abweisung des Interessenbegriffs. "Interesse, das ist Haben-Wollen".
(6) Dagegen ist Identität Selbstvergewisserung eines Volkes, ist "die Alternative gegen die Gesellschaft des Hastewas-Bistewas"(ebd.). Die Frommschen Begriffe "Haben" und "Sein" bilden die Folie von Kritik und Selbstverständigung eines nationalrevolutionären Programms, das mit abgestandener lebensreformerischer Ideologie durchsetzt ist.
Abschließend will ich noch drei Bemerkungen zur aktuellen politischen Einschätzung der von Eichberg formulierten Kultur und Zivilisationkritik anschließen:
1. Eichberg verfolgt sein Programm nicht radikal genug. Würde er konsequent zu Ende denken, so müßte er die Position der Nouvelle Droite in Frankreich vollständige übernehmen, nämlich als ein Kulturkampfkonzept, das sich theoriepolitisch Liberalismus, Marxismus und Christentum als Vertreter der Gleichheitsidee zu Gegentheorien macht. Gegenwärtig trennt ihn von der Französischen Neuen Rechten sein populistischer und regionalistischer Grundzug. Während diese ihr Kulturkampfkonzept unter Rekurs auf die abendländische Philosophiegeschichte formuliert und in einem Marsch durch das herrschende kulturelle System durchsetzen will, um durch eine Kulturrevolution Europa zum dritten Machtfaktor neben den Supermächten zu machen, setzt Eichberg strategisch auf die politische Potenz regionalistischer Bewegungen.
Theoretisch sind Alein de Benoist, Gullaume Faye, Jean-Clode Valla und die anderen Forschungs- und Studiengruppe für die europäische Zivilisation (GRECE) schon weiter. Sie fordern offen das Recht auf Ungleichheit und schreiben Geschichte elitetheoretisch als Geschichte der Völker und Kulturen.
2. Das Recht auf Ungleichheit und der Begriff der nationalen Identität haben sich im traditionellen Rechtsextremismus etabliert. Das Eichbergsche Programm "Identität gegen Entfremdung" wird im Lager rechtsaußen als "Identität gegen Überfremdung" gelesen. Und hier wird sich die Bindekraft des nationalen Arguments stärker erweisen als Eichberg vielleicht intendiert. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen für Fremdenfeindlichkeit sind in der Bundesrepublik immer günstiger als jene für einen regionalistischen Populismus.
3. Eichberg und seine politischen Anhänger stehen theoretisch - trotz aller Differenzen in den Fragen des Populismus und Regionalismus - in der Tradition der Nationalrevolutionäre der Weimarer Republik und der Deutschen Gemeinschaft sowie der Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (DG/AUD) nach 1945. Diese hatte schon 1973 als Partei des neuen Nationalismus am konsequentesten den Weg zu ökologischen Positionen vollzogen. Verweistrukturen lassen sich auch zu den Strasserianer aufzeigen.
"Für uns war uns ist die Zustimmung zum Kampf des indischen Volkes um seine Freiheit von englischer Herrschaft und kapitalistischer Ausbeutung eine Notwendigkeit, die sich ebenso sehr aus der Tatsache ergibt, daß für eine deutsche Befreiungspolitik jede Schwächung einer Vertragsmacht von Versaille günstig ist, wie aus der gefühlsmäßigen Zustimmung zu jedem Kampf, den unterdrückte Völker gegen ausbeutende Usurpatoren führen, da es eine zwingende Folge unserer Idee des Nationalismus ist, daß das Recht der Erfüllung völkischer Eigenart, das wir für uns in Anspruch nehmen, auch anderen Völkern und Nationen zusteht, wobei uns der liberalistische Begriff der "Segnungen der Kultur" unbekannt ist."
(7)
Das Zitat stammt aus dem Aufruf der Otto-Strasser-Gruppe vom 4. Juli 1930: "Die Sozialisten verlassen die NSDAP". Es deutet auf politische Kontinuitätslinien hin, obwohl Eichberg kein Nationalsozialist oder Faschist ist, als den ihn selbsternannte Antifaschisten und die Massenmedien (STERN Nr. 10/1982) gerne abqualifizieren möchten.
Die von den Nationalrevolutionären, aber auch von den Grünen favorisierten "kleine Einheiten" lassen für mich ein grundsätzliches Problem offen, nämlich: Reden jene, die für hochindustrielle Gesellschaften Abkopplung und Regionalismus fordern, nicht letzten Endes einen nicht noch machtvolleren, zentralistischeren Leviathan herbei? Verbirgt sich hinter dem Regionalismus als politischen Programm nicht die Illusion, vorkapitalistische Sozialstrukturen und Sozialbeziehungen innerhalb eines industriellen Systems rekonstruieren zu können? Lothar Baier
(8) hat am Beispiel Okzitaniens sehr überzeugend die regionalistischen Revolten innewohnende Ungleichzeitigkeit herausgearbeitet. Seine Analyse ist geeignet, dem Regionalismus einiges von der oberflächlichen Faszinationskraft zu nehmen, die er in Teilen der bundesrepublikanischen Linken besitzt.
Anmerkungen:
1) Sowohl der BHJ wie die Zeitschrift MUT werden als rechtsextrem eingestuft. (Siehe Verfassungsschutzbericht - Bund 1982, S. 1144, 147. Siehe auch Beschluß (und Rechtsmittelverfahren) betreffend den BHJ des Verwaltungsgerichts Schleswig vom 10.11.1982 (10 D 132/82)
2) Dokumentation "Rechte Grüne?" Hrsg. Die GRÜNEN Baden-Württemberg, Schloßstr. 79, Stuttgart 1
3) vgl. P.Dudek/H.G.Jaschke: Revolte von rechts. Anatomie einer neuen Jugendpresse, FfM;/New York 1981, hier: Gespräch mit H. Eichberg, S. 170ff
4) H.Eicherg: Balkanisierung für jedermann, in : Nordfriesland Zeitschrift für Kultur, Politik und Wirtschaft, Juli 1982; vgl. auch H. Eichberg: Die Industrie des Verschwindens, in: Neue Zeit H.6/1982, ders.: Nationale Identität, München
5) H.Eichberg: Balkanisierung für jedermann? Nation, Identität und Entfremdung in der Industriegesellschaft, in: Befreiung. Zeitschrift für Politik und Wissenschaft Nr. 19/20 1980
6) ebd.
7) zit. n. R. Kühnl (hrsg.): Der deutsche Faschismus in Quellen und Dokumenten; Köln 1975, S 123
8) L.Baier, Französische Zustände. Berichte und Essays, FfM 1982, S 150ff


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Most recent revision: April 07, 1998

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